Da sind die Muskeln am Podest. Der Körper als bloße Fassade von Stärke und Größe. So steht er jetzt da und erwartet die käufliche Liebe. Doch hinter der Fassade die blanke Angst. Die Kamera wird zum Auge, zur Linse der Sehnsucht. Zum Autofocus der leeren Seele. Die ganz ohne Training, ohne Offenheit und Klarheit bleibt, bleiben muss…
Ob die Krawatte wohl sitzt im Büro? Und dann Platz genommen zum Gespräch mit der Kollegin. Die berufliche Welt ist dieselbe und die private doch verschieden im Generationenalter, oder? Dann plötzlich springen die Seelentüren des Gegenübers sperrangelweit auf. Der fehlende Sex mit der eigenen Frau und die Suche jetzt noch neuen Ufern wird zum Thema. Ob die junge Kollegin da Rat weiß und Tipps hätte für einen eleganten Seitensprung?
Und dort das Gespräch an der Bettkante über die Nachtruhe unter der Decke. Schon so lange. Und die Sehnsucht nach dem jungen Liebhaber. Doch was erwartet dieser sich? Zuerst mal Küsse, kann das sein? Woanders das engagiert arrangierte Liebensnest in Pelz und auf dem Berg? Und dort wieder…
Ein Reigen überall…blind, sehnsuchtsvoll, seelenleer…liebe mich! Jetzt! Wo, was, wie jetzt??…
In der Uraufführung von „Reigen“ im TAG Theater Wien konzipieren Thomas Richter (Text) und Dora Schneider (Regie) den dialogischen Schnitzler Klassiker als grandioses Bühnenkatapult zu Seele, Sehnsucht, Sex der Zeit.
Der tragische Reigen der Liebe als Spiegel einer narzisstisch untergehenden Gesellschaft, den der österreichische Dramatiker Arthur Schnitzler (1862 – 1931) vor gut hundert Jahren in die zerbrechende Monarchie genial setzte, findet in dieser Neuinszenierung eine mitreißende dramatische Mitte. Text, Inszenierung und dem hervorragenden Ensemble gelingt es punktgenau in einem Brennpunkt der modernen Gesellschaft zu landen und die Spielarten von Sexsuche als ein Aufbrechen von Einsamkeit und Angst in Witz, Ironie und Tragik in Szene zu setzen. Der moderne Mensch bleibt nach dem Zerbrechen überkommener Sinnmodelle in seiner Nacktheit über. Ganz unmittelbar und direkt. Nichts als Leistung als Selbstanforderung bleibt. Bis zum Zerbrechen. An Schreibtisch und Bett. Der Körper soll jetzt liefern was Sinn und Seele fordern. Schnell und nachhaltig. Bilder gibt es ja genug dazu. Draußen und drinnen. An Bildschirm und Desktop. Im Kopf. Tagtäglich. Doch die kreisen nur und zerschmettern den Rest dieser Welt…
Es ist ganz feine Seelenarbeit in höchstem szenischen Anspruch von Rollenwechsel/Dialog und Ausdruck/Ansprache, die hier großartig von Theater geleistet wird.
Schnitzlers „Reigen“ als beeindruckende Neuinszenierung, die variantenreich und mitreißend über die austauschbaren Abziehbilder unserer modernen Seele zu erzählen weiß. Witzig, traurig, nachdenklich.
Gratulation!
REIGEN _ Uraufführung
von Thomas Richter/Regie Dora Schneider
Frei nach „Reigen“ von Arthur Schnitzler
Es spielen Jens Claßen, Michaela Kaspar, Raphael Nicholas, Lisa Schrammel, Petra Strasser, Georg Schubert
Regie Dora Schneider
Text Thomas Richter
Ausstattung Ilona Glöckel
Musik und Video Thomas Richter
Dramaturgie Tina Clausen
Regieassistenz Renate Vavera
Ausstattungsassistenz Sandra Moser
Kostümbetreuung Daniela Zivic
Regiehospitanz Stefanie Elias
Maske Beate Lentsch-Bayerl
Licht Hans Egger, Katja Thürriegl
Ton und Videotechnik Peter Hirsch
Bühnentechnik Andreas Nehr
PREMIERE_DI 11. FEBRUAR 2020, 20.00
Weitere Vorstellungen:
Do 13., Fr 21., Sa 22., Di 25.* und Mi 26. Februar 2020, 20.00
Mi 4., Sa 7., Mo 9. und Di 10. März 2020, 20.00
Fr 3. und Sa 4. April 2020, 20.00
TAG, Theater an der Gumpendorfer Straße
Gumpendorfer Straße 67
1060 Wien
Besprechung und alle Fotos_Walter Pobaschnig
6.2.2020
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